7 Schwaben im Niemandsland

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Die „Trimmfahrt“ des Vereins startete völlig ungewöhnlich ohne Nachtfahrt erst am Samstag, den 2.9.2022, morgens um 6.15 Uhr. Da wir am Vorabend bereits das gepackt hatten, was wir aus dem Bootshaus mitnehmen wollten, konnten wir sofort starten nachdem auch das persönliche Gepäck in unserem Mietbus verstaut war. Klar war zu diesem Zeitpunkt auch wohin es gehen soll. In der Vorbereitungsphase waren die Loire, der Po und die Elbe im Rennen. Die hatten schlussendlich keine Chance gegen die „Mecklenburger Kleinseenplatte“. Deshalb steuerten wir zum Vespern mal wieder zur Raststätte „Thüringer Wald“ um danach – trotz 2 Staus - bis 15 Uhr zum Ruderverein nach Mirow zu fahren, unserem Standquartier.

Der Name Mirow ist slawischen Ursprungs und soll Ruhe oder Frieden bedeuten. Dort begrüßte uns lautstark die Feuerwehrkapelle und das Heeresmusikcorps Neustrelitz, die aufspielten, weil die Feuerwehr ihr Jubiläum auf dem Nachbargrundstück feierte. Ein Mitglied des dortigen Vereins nahm uns freundlich in Empfang und übergab uns einen Vierer mit Steuerplatz und einen Zweier für eine Woche aus dem riesigen, fast ausschließlich aus Holzbooten bestehenden Bootspark des Vereins, bestehend aus 2 Achtern, 18 Vierern, 1 Dreier,8 Zweiern und 4 Einern. Oh Wunder - für einen Verein mit 60 Mitgliedern. Es stellte sich heraus, dass der Verein zu DDR-Zeiten der Ruderverein des Volkseigenen Betriebs der Förster war. Die Skulls waren selbstverständlich aus Holz und vom VEB Müggelspree Grünau. Zufällig erschien im Herbst in der Zeitschrift der Deutschen Ruderverbandes noch ein großer Artikel über die Werkstatt des Vereins und den Bootswart, der auch während der Woche unserer Anwesenheit häufig fleißig war. Ferner hatte der Verein Beziehungen zu „Schrödergas“, um sich mit Wärme zu versorgen.

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Nachdem das Zelt für 3 Nächte aufgestellt war, unternahmen wir noch eine Rundfahrt im Mirowsee. Dadurch lernten wir auch die „fremden Boote“ kennen. Das führte dazu, dass wir für die kommenden Tage diese noch etwas optimieren konnten. Der Tag klang noch mit einem Sternemenü samt Umtrunk gemütlich aus.

Am Sonntag war die erste Herausforderung die Bäckerei in einer Seitenstraße zu finden. Der Ort hat nur 3890 Einwohner, die sich auch noch auf 11 eingemeindete Ortsteile und 14 weitere Wohnplätze verteilen. Das gibt sage und schreibe 25 Einwohner auf den Quadratkilometer. Aber alle scheinen in einem meist kleineren Haus direkt an einer Straße zu wohnen, so dass man doch einige Seitenstraßen braucht, um alle unterzubringen. Trotzdem darf sich der Ort seit 1919 als Stadt bezeichnen. Der Finderlohn war die Bäckerei, die uns dann täglich ein Potpourri an verschieden wunderbaren Brötchen und bei Bedarf Brot verkaufen konnte und wollte, obwohl an einem Tag dort das Licht wegen einer Aktion des Bäckerhandwerks aus Protest gegen die Preissteigerungen beim Gas nicht eingeschaltet wurde. Nach dem wie immer ausgiebigen Frühstück stachen wir mit unseren 2 Booten in See. An diesem Sonntag brachten wir es auf 41 Kilometer beginnend im Mirowsee, über den Zotzensee in den Mössensee zum Vilzsee mit dem Zethner See. Hier trafen wir auf zweifarbige Bojen in den Landesfarben Baden-Württembergs - schwarz und gelb in verschiedenen Höhen. Es stellte sich die Frage, was das soll. „The Länd“ isch doch weit weg! Es folgte der sogenannte große Peetschsee zur Schleuse Diemitz. Von dort kamen wir über den Labussee zum Gobenowsee und Rätzsee an dessen Ende uns die Fleeter Mühle erwartete. An der Fleeter Mühle müssen alle ihre Boote umtragen. Damit waren wir wieder im Vilzsee. Erfreulicherweise kreuzte sich unser Weg gerade mit einer Gruppe von Kanuten. Mit denen konnte man schwätza und wir halfen uns wechselseitig. Das beschleunigte den ganzen Vorgang für beide Gruppen, weil keiner einen Weg mit leeren Händen machen musste. Aber bevor es weiter ging, ließen wir uns zum mittäglichen Vesper im großen Biergarten nieder. Dazu schmeckte das Bier aus der Gaststätte köstlich. Interessant waren dort die Namen für die Speisen – z.B. gab es eine „Robin Hood Teller“ und ähnliche. Das hatte seinen Ursprung wohl darin, dass hier seit DDR-Zeiten ein sehr großes festes Ferienlager ist. Dauerhaft zugänglich für alle war ein großer Spielplatz samt einer Minigolfanlage auf 15 Tischen. Durch die 4 ersten oben genannten Seen ging es nun noch zurück nach Mirow.mirow 0030

Am frühen Montagmorgen machte sich an diesem Ort der Ruhe der LKW-Verkehr auf der Bundesstraße deutlich bemerkbar. Insbesondere ganze Kolonnen von DHL-Laster mit Anhängern und Holztransporter in vollem und leerem Zustand rumpelten 300 Meter vom Bootshaus entfernt um eine 90-Grad-Kurve. Ferner begrüßten viele Vögel lautstark den Morgen.

An diesem Tag ruderten wir in die andere Richtung. Da war anfangs das Seerosenparadies, das sich im Granzower Möschen, im großen Kotzower See und im Leppinsee ausbreitete. Bis zum Müritzsee, dem größten Binnensee Deutschlands, folgte noch der Woterfitzsee und die Alte Fahrt mit der Umtragestelle am Bolterkanal mit Mühle., Zwischendurch gab es in den engen Verbindungskanäle ins Wasser gefallene sowie hineinragende Bäume. Im ungesteuerten Zweier eine Herausforderung. Aber mit Geduld und Vorsicht war auch das zu bewältigen. Im Müritzsee erwarteten uns Wind und Wellen. Wir ruderten auf der Steuerbordseite etwa 4 Kilometer quer über den See in Richtung der Einmündung der Müritz-Havel-Wasserstraße. Mittagsrast machten wir noch am Ufer des Müritzsees bei einem Pferdehof. Da hatten wir zur Abwechslung die Gelegenheit dem Geschehen auf dem Reitplatz zuzuschauen. Zum wiederholten Mal wurde festgestellt, dass die Idee die Vespersachen in einer neuen Werkzeugkiste mitzuführen, eine gute war. Danach begaben wir uns auf die genannte Wasserstraße Richtung Berlin, auf der sich Schifffahrt in bescheidenem Umfang abspielte. Unterwegs gab es die kleine Müritz und den Stumpfsee. Etwa einen halben Kilometer nach der Schleuse Mirow bogen wir wieder nach Steuerbord ab, um alsbald wieder in Mirow am Steg anzulegen. Nachdem wir alle wieder ausgehfähig waren, ließen wir uns in der Gaststätte auf der Schlossanlage a la Card verköstigen.mirow 0041

Am Dienstag hatten wir eine besondere Idee. Den Landdienst könnten wir doch outsourcen und alle könnten wie bisher rudern. Das war möglich, weil es eine ÖPNV-Busverbindung von unserem heutigen Ziel zurück nach Mirow gab. Das Problem und Risiko war dabei nur, dass diese einzige vernünftige Verbindung bereits um 16.48 Uhr dort abfahren sollte. Also mussten wir uns sputen. Zunächst ging es über den Zotzen-, Möschen-und den Vilzsee wieder zur Schleuse Diemitz um nach dem Labussee zur Canower Schleuse zu kommen. Hier mussten wir wegen des großen Andrangs umtragen. Da es dort heftigen Seitenwind gab, hatten Hausbootfahrer Probleme ihr Boot vor der Schleuse fest zu machen. In der Ausfahrt zum Canower See mussten wir daher besondere Vorsicht walten lassen. Danach ging es weiter über den Kleinen Pälitzsee, den Wolfsbrucher Schleusenkanal zur Schleuse, den Tietzowsee, einen weiteren Zootzensee (jetzt mit zwei Mal o), über den Repenter Kanal in den Zechliner See zum Schwarzen See zum Flecken Zechlin. Nachdem die Boote auf dem Gelände des dortigen Rudervereins sicher abgelegt waren, konnten wir noch rechtzeitig den Marsch durch den Flecken zum Busbahnhof an der Schule bewältigen. Dort herrschte Rush-Hour. 8 Busse verließen binnen 10 Minuten den Flecken in alle Richtungen. Unser Bus brachte uns in flotter Überlandfahrt bis 17.15 Uhr nach Mirow und wir waren stolz, dass unsere Idee geklappt hat. An dem Tag mussten noch Lebensmittel eingekauft werden. Interessant war, dass der Vorgang für nur 7 teilnehmende „Mäuler“ bei mir als Einkäufer doch eine gewisse Zurückhaltung erforderte, weil man bei früheren Fahrten für bis zu 19 Personen „sorgen“ musste. Aber auch das gelang. Da Regen angekündigt wurde bauten wir noch unser trockenes Zelt ab und zogen uns mit allem Hab und Gut in den Clubraum des Vereins zurück, den eine andere Gruppe inzwischen frei gemacht hatte.mirow 0045

Am Mittwoch führen wir mit unserem Fahrzeug zurück zu den Booten. Leider hatte es über Nacht dort längere Zeit geregnet. Als wir uns daran machten das Wasser auszuschöpfen bemerkten wir, dass die Boote im Heck im Boden einen Schraubverschluss hatten, der sich herausdrehen ließ um ein Loch zum Vorschein kommen zu lassen. Mit der richtigen Schräglage des Bootes mussten wir nur einige Minuten warten und der Rudertag konnte wieder beginnen. Nun ruderten wir wieder zurück bis zum Tietzowsee um in den Jagow-Kanal abzubiegen. Dieser führte uns über den Schlaborn- und Rheinsberger See in den Grienericksee an dem der Ruderverein Rheinsberg liegt – übrigens im Bundesland Brandenburg. Dort konnten wir auf dessen Gelände in einer Laube zum Mittagessen unterkommen und sogar die Toiletten nutzen, da ein Ruderer vom Wasser kam und uns den Zugang gewährte. Wir bekamen dort folgendes Hinweisschild zu lesen: „Der Mensch ist zum Machen gemacht – also schaff was!“ Das hat uns motiviert mit Freude die gleiche Strecke wieder zurück zu rudern - zum Flecken Zechlin. Mit der Bezeichnung „Flecken“ ist ein bedeutender Ort gemeint, der Marktrecht hatte aber sich als Gemeinde nicht selbst verwalten durfte.

Das hatte natürlich zur Folge, dass wir am nächsten Morgen wieder dort losruderten. Leider musste uns ein Ruderkamerad wegen einer Beerdigung bereits an dem Tag verlassen. Er brachte noch unseren Bus nach Mirow zurück und nutzte von dort die Bahn für die Heimreise. An dem Tag war die Luftfeuchtigkeit in unterschiedlichen Ausprägungen erhöht. Trotzdem blieb uns nichts anderes übrig als möglichst ohne Unterlass zu rudern. Bis zur Mittagszeit erreichten wir wieder die Schleuse Canow. Wegen der bereits wartenden Boote trugen wir unsere um. Zu Canow vermerkte der Reiseführer: „Eine Art stiller Verkehrsknotenpunkt in der idyllischen Mitte von mecklenburgisch Nirgendwo.“ Da der Regen stärker wurde, beschlossen wir an der Schleuse unter der Straßenbrücke unser Mittagsvesper im Trockenen einzunehm. Weil der Regen auch nach über einer Stunde immer noch nicht nachließ, und wir in einem Smartphone sahen, dass es in der Nähe der Brücke ein Kaffee geben sollte, entschlossen wir uns dort einzukehren und uns bei Kaffee und Kuchen aufzuwärmen. Glücklicherweise hat der Regen währenddessen nachgelassen. Wir nutzten die „Chance“ und ruderten bei nur noch leichtem Regen über den Labussee zur Schleuse Diemitz, die für den vorausfahrenden Zweier bereits ein noch offenes Tor für eine sofortige Schleusung bereithielt. So mussten wir ausnahmsweise unsere Trennung hinnehmen. Die 4 Seen bis Mirow waren danach kein Problem mehr. Wir haben die Tagesetappe von 28 Kilometern trotz allem bis 17.30 Uhr geschafft. Angekommen freuten wir uns über Tee mit beigemischten Destillaten und etwas später das schwäbische Nationalgericht, bestehend insbesondere aus Linsen, Saiten, Speck und Spätzle. Damit war die Stimmung nach dem äußerlich feuchten Tag wieder deutlich angehoben.mirow 009

Am Freitag ruderten wir nochmals von unserem Standquartier in das Seerosenparadies. Bis um halb zwei kamen nochmals 22 Kilometer auf den bereits bekannten, in der Eiszeit durch Schmelzwasser ausgewaschenen, länglichen und angeblich tiefen Rinnseen zusammen. In Summe haben wir es auf 204 Ruderkilometer pro Person gebracht. Danach vervesperten wir unsere Essensbestände, um am nächsten Tag nicht zu viel mit nach Hause mitnehmen zu müssen. Wir säuberten die beiden geliehenen Boote und gaben diese am späteren Nachmittag zurück. Zwei von uns begaben sich am Nachmittag noch zum Einkaufen von Geschenken aus Holz in die City.

Am Samstag fuhren wir dann wieder nach Hause. Wo machten wir unsere Mittagsrast? Richtig. Wieder mal an der Raststätte „Thüringer Wald“. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. In Esslingen angekommen war es dann auch mal schön keine Boote säubern und aufräumen zu müssen.

Und waren wir tatsächlich im Niemandsland? Mirow liegt heute im Landkreis Mecklenburger Seenplatte, dem größten Deutschlands. Der ist mit 47 Einwohnern pro Quadratkilometer der dünnst besiedelte in Deutschland. Er ist auch doppelt so groß wie das Saarland und besteht zu 10 % aus Wasserflächen. Laut Reiseführer gibt es keine Superlative und nur wenig Kultur. Und weil hier fast keiner zuhause ist, sind die Fahrpläne für die Busse auch sehr bescheiden. Die Kinder müssen eine halbe Stunde mit dem Bus zur Realschule und eine ganze zum Gymnasium fahren. Beeindruckend war aber, dass an jedem Haus in der Kleinstadt ein Glasfaserkabel aus dem Gehweg ragte – sogar, wenn auf dem Grundstück noch gar kein Haus stand. Die Gegend liegt noch im Erholungsgürtel von Berlin und lebt insbesondere vom Tourismus. Die Anzahl der Ferienhäuser am Wasser samt Bootsgaragen ist enorm - genauso wie die Zahl der Campingplätze. Und zum Schluss noch der Hinweis an alle, die mit Hausbooten meinen in der Hochsaison dort die Welt erkunden zu können: Es wurde berichtet, vor den Schleusen muss wegen des Andrangs dann stundenlang gewartet werden, weil mehr als 3 Boote in keine Schleuse hineinpassen. Mit Kanu oder Ruderboot kann man sich jedoch oft noch dazu gesellen. Dazu kommt, dass die Ausflugsschiffe der weißen Flotte aus Mirow und andere Berufsschiffer vorrangig geschleust werden. Die gesamte Wasserwirtschaft mit den Schleusen braucht man in dem Gebiet um insgesamt circa 8 Höhenmeter Gefälle zu regulieren, so dass die Hubhöhe jeweils nur etwa einen guten Meter beträgt.

Schön und interessant war die Fahrt, obwohl währenddessen „die Queen“ von England gestorben ist und die Diskussion darüber losging, ob Karl Mays Winnetou wegen der Vermittlung eines verwerflichen Indianerbildes noch gelesen werden darf. Auch mit dem Wetter hatten wir Glück – das bisschen Regen war warm.
Und nun noch das Geheimnis. Dabei waren: Doris Eberspächer, Hans-Jürgen Eberhardt, Achim Lempart, Ralf Stybalkowski, Albrecht Hannig, Frank Maschkiwitz und Bernhard Freisler, der Schreiber Wie wäre es bei der nächsten Fahrt dabei zu sein? – Wahrscheinlich Anfang September 2023. Bitte ab sofort melden.

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