46.Trimmfahrt

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Wanderfahrt in die Eiszeit

Kalt war es dennoch zu keinem Zeitpunkt. Wir waren ja vom 3. 9. bis 11.9.2021 – also im Sommer – auf der Märkischen Umfahrt in einer erweiterten Gestaltung südöstlich von Berlin unterwegs. Das Berliner Urstromtal hielt uns dort ein großzügiges und weitläufiges Ruderrevier bereit. Die gesamte Gegend wurde von den Gletschern der Eiszeit geformt. Sie hat uns 300 Seen hinterlassen, die zum Teil glücklicherweise durch Flussläufe und Kanäle so miteinander verbunden sind, die wir rudernd genießen können. Es gab sehr viel grüne Natur und Ruhe dazu. Schon an dieser Stelle sei Elke und Frank gedankt, die in den letzten Jahren offensichtlich durch mehrere Rudertouren die Vorhut für uns waren und uns bestens durch die Gewässer geführt haben.

2 Frauen und 8 Männer trafen sich am Freitag um 17 Uhr am Bootshaus. Bis kurz nach 20 Uhr wurden 2 Mietwagen abgeholt, 2 Boote und 2 Zelte sowie Biertischgarnieturen in und auf den Bootsanhänger verladen sowie der „Küchenanhänger“ mit der notwendigen Kochausstattung sowie den festen und flüssigen Lebensmitteln ausgestattet. Die Rollen waren kompetent nach Kompetenz verteilt, so dass alles recht schnell ablief und danach das persönliche Gepäck verstaut werden konnte. Um 20.15 Uhr konnten wir uns von Esslingen verabschieden. Kurz vor Mitternacht kam es wie immer zu einem ersten Höhepunkt der Fahrt im Konvoi. Mitternachtssnack auf dem Rastplatz „Thüringer Wald“ samt Fahrerwechsel. Nach einem weiteren Fahrerwechsel um 3.30 Uhr waren wir bei Tagesanbruch um 5.30 Uhr an unserem Standquartier beim Ruderverein in Storkow.

Storkow ist eine der ältesten Städte Brandenburgs, knapp 50 Kilometer südöstlich von Berlin, die im zentralen Ort 7000 und mit allen Eingemeindungen knapp 15000 Einwohner hat. Der größte Arbeitgeber dürfte augenscheinlich die Bundeswehr mit einer großen Kaserne sein. Ein Ort der Störche wäre man neuerdings auch gerne – jedoch haben wir weder einen gesehen noch deren Nester. Der Name ist eine Ableitung eines alten Wortes das wohl die Bedeutung “Weg durch die Sümpfe” hatte. Die Kriegsgräberstätte auf dem Friedhof, 300 Meter vom Ruderverein entfernt, weist dennoch darauf hin, dass am Ende des 2. Weltkriegs in diesem Sumpf die Schlacht um Berlin tobte. Knapp 900 Tote liegen hier begraben, die vielfach als Verwundete auch noch in den Wochen und Monaten nach dem Kriegsende verstarben.

Völlig übermüdet widmeten wir uns der Festlegung der Standorte für unsere Zelte und der Erzeugung eines Frühstücks für die Truppe – denn „Ohne Gaffee gönn mer nich gämpfn “. Nachdem uns dann ein Einheimischer gesagt hatte, wohin die Zelte sollen, stand alles bis 9 Uhr, so dass das Rudern vor 10 Uhr am Steg des Vereins beginnen konnte. Bis zur Mittagspause an der Schleuse Prieroser Mühle durften wir zum Eingewöhnen schon mal 28 Kilometer unseren geliebten Sport ausüben. Für den Nachmittag hatte die Fahrtenleitung weitere 20 Kilometer bis zur Badestelle in Köthen am Köthener See bereitgestellt. Hier war zu erfahren, dass an diesem Ort die auswärtigen Diplomaten des diplomatischen Corps in der DDR die Möglichkeit hatten Pferde zu bekommen, um den Reitsport auszuüben. Der Landdienst machte die Erfahrung, dass unterwegs weit und breit keine Einkaufsmöglichkeit zur Verfügung stand. Gott sei Dank hatten wir für das Abendessen bereits in Esslingen vorgesorgt.

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Die Erfahrung des Tages war, die Schleusen sind relativ klein - in die Kleinste ging ein Vierer gerade mal diagonal rein - und haben für unsere Verhältnisse wenig Hubhöhe und die Gewässer zwischen den Seen heißen Spree oder Dahme, die auch die Kanäle mit Wasser speisen, wovon einer sogar zur Oder führt. Die Kiefernwälder waren besonders beeindruckend. In der Regel hatten sie kein Unterholz. Die Stämme waren die unteren 10-15 Meter kahl und standen als Stangen fast in Reih und Glied herum.

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Am nächsten Tag gab es ein ausgiebiges Frühstück. Damit war die Mannschaft gedopt um die Vormittagsetappe zur Schleuse Kossenblatt– immerhin 25 Kilometer - zu rudern ohne zu meutern. Aber vor die Tat setzte der Herrgott einen fast leeren Tank und einen Fahrer, der nach 5 Kilometern einen Blick auf die Tankuhr warf. Nachdem wir feststellten, dass uns eine Tank-App verriet, dass wir in dieser Pampa den ganzen Tag unterwegs an keiner Tankstelle mehr vorbeikommen werden, mussten wir nach Storkow umkehren. Danach konnten die sportlichen Taten des Vormittags in Angriff genommen werden. Was Neues war für mehrere Teilnehmer eine Dreiecksschleusenanlage. Zuerst schleusten wir vom Spree-Dahme-Überlaufkanal kommend aufwärts in die Spree, um sofort danach auf der anderen Seite des Wehres wieder abwärts zu schleusen, weiter auf der Spree. Weil Sonntag war, war man nach der Mittagspause sogar auch noch bereit die 19 Kilometer zum Cottbusser Ruderverein am Großen Schwielowsee draufzupacken. Wieso ist der 40 Kilometer von Cottbus entfernt…? Es gibt zwei Standorte Kraftraum und Ruderbecken in Cottbus und das Bootshaus am Schwielowsee. Wäre so etwas im Westen möglich?

Danach: The same pro…… as every day. Selbst kochen, spülen sowie aufräumen und den Tag am Seeufer gemütlich sitzend ausklingen lassen.
Am 3. Tag war der Einsatz von Sonnencreme dringend angeraten. Rudernd ging es erst einmal über den Großen Schwielowsee zurück zum kleinen Schwielochsee. Danach von einem See zum nächsten. Nach 24 Kilometern kam es unweigerlich zur Mittagsrast am Wasserwanderplatz in Radinkendorf mit Dixi-Klo samt Slipanlage. Weitere 26 Kilometer waren es bis zum Ziel am Abend – dem Wasserwanderrastplatz Streitberg. Wir kamen am Ruderverein Beeskow vorbei. Der hatte seine Hundertjahrfeier und daher seinen Flaggenmasten mit vollem Ornat ausgestattet. An der Spitze die Flagge des Esslinger Rudervereins. Wer hat die wohl dort hinterlassen? Derjenige möge sich bitte bei uns melden. Im weiteren Verlauf nutzten wir einen Abschnitt des Oder-Spree-Kanals, auf dem uns in dieser Woche das einzige Schiff der Großschifffahrt entgegenkam.

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Am Ruderverein in Storkow gab es einen Biergarten. In diesem gab es jeden Abend einen gut besuchten Stammtisch. Die Gäste kamen zum einen aus der Nachbarschaft und zum anderen mit Motorbooten in den Hafen des Vereins, der damit eine Geldquelle hatte – insbesondere durch die Vermietung von Bootsliegeplätzen. Jeden Abend rief uns der Stammtisch die Frage zu: „Esslingen - seid ihr noch da?“ Offensichtlich waren wir zu leise und wir riefen lautstark „ja!“ zurück.

Nachdem wir am nächsten Morgen die Bewohner der am Steg liegenden Motorboote durch das Einsetzen unserer Ruderboote geweckt hatten, durfte die Mannschaft wieder rudern – 22 Kilometer bis zum Kanusport Spree, wo die Mittagspause geplant war.
Der Landesdienst hatte vormittags wie immer die Aufgabe das 2. Auto am Endpunkt des Tages abzustellen. Ein Teil des zweiköpfigen Landdienstes verlor an diesem Tag die Orientierung und nutzte die Chance die Autobahnauffahrt Richtung Warschau, statt der nach Berlin zu nutzen. Hauptstadt ist halt Hauptstadt. Der zweite Teilnehmer konnte das Wenden auf der Fahrbahn verhindern. Die nächste Ausfahrt wurde zur Umkehr genutzt und es ging auf der „Straße des Friedens“ zum Berliner Ring bis nach Erkner, vorbei am Rohbau der Giga-Factory von Tesla, samt der Vorbereitungen für einen Autobahnanschluss und die Stromversorgung.

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Nach dem Einkauf von Lebensmitteln ging es zurück zum Treffpunkt für die Mittagspause. Der Landdienst fragte brav, ob es erlaubt wäre, hier als Gruppe zu rasten. Es war. Kanusport Spree war kein Verein, sondern ein ehemaliger Esslinger vom Kanuverein am Färbertörlesweg betreibt hier ein Geschäft für Kanuten – das heißt es gab gegen Geld alles was das Kanutenherz begehrt, einschließlich der Schwimmwesten für Hunde jeder Größe. Er freute sich mit uns über Esslingen zu reden und wir hatten „alle“ Sonderrechte während unseres Aufenthalts.
Nachmittags starteten wir zu weiteren 25 Kilometern auf der Müggelspree zum Endpunkt beim Erkner Ruderclub. Auf dessen Gelände befanden sich mehrere „Datschen“ und das Gelände war vollständig umzäunt und grundsätzlich verschlossen.

Am nächsten Vormittag starteten wir gemäß dem bekannten Schlachtruf: „Berlin, Berlin – wir fahren nach Berlin!“ Wir bestaunten aus dem Kanalsystem „Klein Venedig“ die mehr oder weniger schmucken Grundstücke, Häuser und Boote und querten danach den Großen Müggelsee. Nach dem Stadtteil Köpenick nutzten wir in Grünau die dauerhaft markierte Ruderregattastrecke – 2000 Meter sind als Rennen verdammt lang! Nach einigen weiteren Seen und insgesamt 23 Kilometern durften wir endlich beim Ruderverein Schmöckwitz speisen und neue Kraft schöpfen.

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Nachmittags versteuerte sich unser relativ weit vorausfahrendes Boot. Nach intensivem Studium der Gewässerkarte und der Erkenntnis, dass wir nach Süden – also zur Sonne – mussten, nutzen wir die segensreiche Erfindung der mobilen Telefonie von Boot zu Boot um die versprengte Truppe zur Korrektur der Lage/Umkehr zu motivieren/bewegen. In Königs Wusterhausen, von dem aus vor etwa 100 Jahren in Deutschland die erste Radiosendung -ein Weihnachtskonzert - von einem Masten auf einer eiszeitlichen Sanddüne ausgestrahlt wurde, durften wir die freundlichste Schleuse für Sportboote des Jahres 2015 nutzen, bevor der Endpunkt Zernsdorf nach 17 Kilometern erreicht war. Dort am Steg angekommen erlebten wir wie Ruderkameraden mit körperlichen Beeinträchtigungen gerade ihre Trainingsfahrt starteten. Beeindruckend. Ferner lagen auf dem weitläufigen Gelände bereits drei Vierer von Germania Düsseldorf. Die Kameraden erfreuten sich an den Übernachtungsmöglichkeiten des Vereins. Uns zog es aber zurück zu unserem Standort. Dort wurden im Laufe des Abends auch aufgelaufene gruppendynamische Angelegenheiten aufgearbeitet und abgeräumt.

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Am Donnerstag war das Wetter immer noch Klasse. Vormittags ging es 23 Kilometer nach Sparta – jawohl nach Sparta – aber nicht nach Griechenland, sondern zum Ruderverein diesen namens in Klein-Köris.
Während unserer Pause kam die Besatzung eines gesteuerten Dreiers von einer Eisdiele zurück. Die 3 älteren Herren hatten ihr Boot nicht am Steg, sondern am Wiesenufer. Aber auch das hielt den Herrn mit den Krücken nicht davon ab dort einzusteigen. Respekt. Natürlich hätten wir gerne geholfen.
Am Nachmittag nahmen wir noch 7 weitere Seen unter unseren Kiel. Das war bekannterweise eine Sackgasse, so dass es auf dem gleichen Weg wieder zurück ging. Statt die hölzernen Übernachtungszelte zu genießen, ging die Fahrt per Auto wieder nach Storkow zu Zelt und Feldbett. Da ein Ruderkamerad mal wieder Geburtstag hatte, machten wir uns fein und fuhren zum Abendessen ins berühmte Fischrestaurant Aalfang. Der Inhalt auf den Tellern ließ nichts zu wünschen übrig. Aber in der Abenddämmerung übernahmen jedoch andere fliegende Lebewesen das Kommando. Das ließ uns schnell unsere Rechnungen begleichen und zu unserem Schnacken freien Quartier zurückkehren.

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Wer nur noch mit Krücken gehen kann, freut sich wenn er wieder im Boot sitzt aufs rudern, egal ob der Schlagmann fertig ist.

Am letzten Rudertag manövrierten wir uns von Sparta nach Storkow. Kurz vor 11 Uhr trafen wir im Biergarten „Kuddels Lustige Stube“ auf ein Frühschoppenbierchen ein. Wir gönnten uns ein Produkt tschechischer Braukunst. Außer dass wir uns unter einer Brücke auf den Rücken legen mussten, um nicht mit dem Kopf anzustoßen, gab es keine besonderen Vorkommnisse. Bei der Gelegenheit wurde geistesgegenwärtig natürlich auch die Bootsflagge bedacht und erfolgreich gesichert. Nach 14 Uhr kamen wir in Storkow wieder am Steg an. Dazu haben wir erfahren, dass der Wasserstand des Storkower Sees, der zusammen mit dem Scharmützelsee ohne Zufluss ist und nur aus Regenwasser gespeist wird, momentan 30 Zentimeter niedriger sei als üblich. Der Grund dafür sei eine neue Selbstbedienungsschleuse. Bisher hat ein Schleusenwärter dafür gesorgt, dass mehrere Boote gemeinsam geschleust wurden und nicht jeder Bootsfahrer einzeln das Wasser verbraucht. Das Beispiel zeigt, durch Mitmenschen erbrachte Dienstleistungen zeitigen gelegentlich doch positive Effekte und vermeiden Kollateralschäden. Muss es nun dort noch mehr regnen?

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Das waren in dieser Woche in Summe 310 Kilometer. Erwähnenswert erscheint noch die bisher nicht erwähnten Seen namentlich zu nennen, die noch keine Erwähnung fanden: großer Storkower See, Streganzer See, Leißnitzsee, Dämeritzsee, kleiner Müggelsee, Krüpelsee, Neuendorfer See, Glower See, Krimnicksee, Dolgensee, Krossinsee, Teupitzer See, Zemmin See, Schmöldesee, Huschtesee, Hölzener See, Klein Köriser See, Schweriner See, großer und kleiner Moddersee, Schulzensee, Zeuthener See, Möllenzug See, Sellenzugsee, Wolziger See und gleich 2 Seen namens Langer See in Berlin und Brandenburg – alles ohne Gewähr auf Vollständigkeit. Auf dem ein oder anderen See kam es durchaus zu der zu diskutierenden Fragestellung: „Wo geht es aus dem See auf dem richtigen Weg wieder hinaus?“.
Wir fingen an die Boote abzuriggern und siehe da, der Wettergott hörte auf uns zu beglücken. Er fing an unsere Zelte durch wiederkehrende kurze Schauer zu benetzen. Trotzdem war bis zum Abendessen - unserem schwäbischen Not Essen bestehend aus Linsen, Spätzle, Saiten und Speck - der Bootsanhänger mit allem beladen was man erwartungsgemäß bis zu Abfahrt nicht mehr braucht, also ohne Zelte, Bootskörper und Privatgepäck.

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Der Wettergott schickte nach dem kurzen Regenguss am Storkower See noch einen schönen Regenbogen hinterher.

Am nächsten Morgen kurz vor Sonnenaufgang zeigten sich erste Lebenszeichen. Der Kaffee wurde etwas früher aufgesetzt und jemand holte nochmals Brötchen beim Bäcker, der bereits ab 5.30 Uhr öffnete. Trotzdem hat am Ende das Packen von Allem bis 9 Uhr gedauert. Nachdem die Fahrerin des gegenüber der Ausfahrt parkenden PKWs, der unsere Ausfahrt aus dem Gelände blockierte, auf einem Motorboot im Hafen des Rudervereins gefunden war, wurde unser Heimweg endlich frei. Jedoch löste sich bereits nach 100 Metern zur Überraschung aller der Küchenanhänger vom Zugfahrzeug. Die Drähte des Kabels für die Leuchten am Hänger wurden herausgerissen. Schöne Bescherung. Aber im Internet gibt es unter dem Stichwort „Kabelbelegung“ die passenden Bilder, so dass unsere Experten nach 30 Minuten die verschiedenen farbigen Drähte wieder richtig einbauen konnten. Nachdem wieder sorgfältig angehängt war wurden die Lichter getestet und für gut befunden.
Bis 14 Uhr fuhr uns der erste Fahrer wieder zum Rastplatz „Thüringer Wald“. Eine halbe Stunde Mittagspause reichte und neue Fahrer brachten uns bis circa 18 Uhr nach Esslingen. Um 20.30 Uhr war alles aufgeräumt und die Zelte standen zum Trocknen bis Montag. Ungeklärt blieb auch weiterhin die Frage: Wieso werden Schwäne grau geboren, um trotzdem später ein ganzes Leben in weiß zuzubringen? Vielleicht, um von Ruderern besser gesehen zu werden?
Alles in allem wieder eine gelungene Wanderfahrt. Diese Abwechslung zu unserer Hausstrecke tut gut. Der Spaß an der Ausübung unserer Sportart steigt dadurch bei Vielen erheblich – einschließlich der Motivation bis zur nächsten Wanderfahrt durchzuhalten.

Bericht: Bernhard Freisler
Fotos: Wolfram Strehler